Netzgewalt und feministischer Widerstand

Netzgewalt und feministischer Widerstand

Wepsert war für euch in der ARGEkultur Salzburg bei einem Themenabend mit Vorträgen und Diskussionen rund um (Netz-)gewalt und Widerstand. Auf dem Podium saßen Sigrid Maurer, Jolanda Spiess-Hegglin und Anne Roth. Moderation führte Kathrin Maier.

Achtung: Im folgenden geht es um sexulle und sexualisierte Gewalt. Wen das triggern könnte, bitte hier aufhören zu lesen.

Netzhass, Hatespeech und Hetze

Jede*r, die*der Kommentarspalten von Onlinebeiträgen liest oder sich im Netz zum Beispiel feministisch äußert, hat sicherlich schon Erfahrung mit Hassrede oder gar Trollen gemacht. Hassrede, Hatespeech, kommt sowohl von Affekttäter*innen, Einzeltäter*innen, die ‚nur mal ihre Meinung äußern wollen‘ und in der Illusion leben, mit ihrer Meinung der Mehrheit anzugehören, als auch von Trollen. Trolle sind zweckorientierte Hater, die gut organisiert und zum Teil auch bezahlt sind und Diffamierung nutzen, um ihre menschenverachtende Botschaft oder Organisation zu bewerben.

Wer sich im Internet öffentlich äußert, muss sich gut überlegen, ob er*sie bereit ist, sich diesem Hasspotenzial auszusetzen. Netzhass beginnt bei Beleidigungen, endet aber nicht bei Morddrohungen, sondern teils bei echter Gewalt. Diese Bedrohung hat Auswirkungen auf unsere freie Meinungsäußerung, deswegen müssen wir uns als Gesellschaft mit diesem Thema beschäftigen. Darüber hinaus tragen die Opfer von Netzgewalt, wie bei anderen Gewaltverbrechen, emotionale und psychische Schäden davon.

Die Podiumsteilnehmerinnen von links nach rechts: Kathrin Maier, Sigrid Maurer, Jolanda Spiess-Hegglin, Anne Roth Foto: Michael Grössinger

Die Podiumsteilnehmerinnen von links nach rechts: Kathrin Maier, Sigrid Maurer, Jolanda Spiess-Hegglin, Anne Roth Foto: Michael Grössinger

Bisher gibt es auf rechtlicher Ebene kaum Möglichkeiten sich zu wehren, wenn man Opfer von Hetze im Internet wird. Bei dem Themenabend am 7.3.2019 in der ARGEkultur Salzburg erzählen zwei Betroffene, Sigrid Maurer und Jolanda Spiess-Hegglin, ihre persönliche Geschichte. Es geht um die Abgründe von Täter*innen und Medien, aber auch um Stärke und Widerstand – denn gegen ihre Angreifer*innen müssen die Politikerinnen sich aus eigener Kraft wehren.

Jolanda Spiess-Hegglin

Von Jolanda Spiess-Hegglin hatte ich ehrlich gesagt noch nie etwas gehört. Ihre Geschichte geht an die Belastungsgrenze des Aushaltbaren und doch hat sie eine Art Happy End, so makaber das in diesem Fall klingen mag. Spiess-Hegglin erzählt hauptsächlich nur die Fakten. Dass die richtig rüberkommen, dass ihre Version der Geschichte gehört wird, sie selbst erzählen kann, dass ist ihr am wichtigsten. Ich google sie nicht, auch nicht für diesen Artikel. Solidarisch mit ihr zu sein, heißt für mich, ihre Geschichte so zu erzählen, wie sie es tut, sachlich, ohne Schmuck, Voyeurismus und emotionale Beigabe.

Spiess-Hegglin weiß bis heute nicht, was mit ihr passiert ist.

Jolanda Spiess-Hegglin ist aus der Schweiz. In ihrem Kanton (Zug) wurde sie als erste Frau in die Schweizer Nationalversammlung gewählt. Nach einer Weihnachtsfeier 2014 mit hohen Politikern und Parteifunktionären erwachte sie mit einer Gedächtnislücke von 8 Stunden. Im Krankenhaus ließ man sie fast ebenso viele Stunden warten, so dass das toxische Screening kein Ergebnis brachte. Man fand allerdings Sperma und DNA-Spuren von zwei Männern in ihr. Der eine kann nie identifiziert werden, der andere ist bekannt: Ein berühmter Politiker, der auch bei der Weihnachtsfeier anwesend war. Spiess-Hegglin weiß bis heute nicht, was in dieser Nacht mit ihr passiert ist. Doch darum geht es gar nicht, denn es kommt alles viel schlimmer.

Das zweite Trauma, verursacht durch Hetze in Medien und im Netz

Bereits am nächsten Tag erscheint in einer großen Schweizer Tageszeitung die reißerische Titelgeschiche über sie und den Politiker, beide namentlich genannt. Die Presse leugnet eine sexuelle Straftat, stellt es so dar, als würde Spiess-Hegglin ihn ruinieren wollen. Es bleibt nicht bei der einen Geschichte. Ab diesem Zeitpunkt ist sie täglich in der Presse – immer noch und das seit 2014. Sie wird verleumdet, verteufelt, zu einer Falschbeschuldigerin und Männerhasserin stilisiert. Ich bin eigentlich noch dabei, das sexuelle Verbrechen, das an ihr begangen wurde, irgendwie zu verarbeiten, doch um diese Traumatisierung geht es hier nicht. Es geht um das zweite Trauma, versucht durch Hetze in Medien und im Netz. Spiess-Hegglin spricht kaum darüber, wie belastend diese Zeit gewesen sein muss.

Ihr Name und ihr Gesicht waren in den Medien omnipräsent, sie und ihre Familie erhielten Hassnachrichten und Drohungen en masse. Es verbreiten sich falsche Fakten über sie, wilde Gerüchte über ihre sexuelle Vergangenheit. Das schlimme für sie ist nicht die Retraumatisierung, sondern die Lügen über sie. In zahlreichen Gruppen und Kommentarspalten bei Facebook ließen Männer sich über sie aus, bezeichneten sie als Bordsteinschwalbe und Schlimmeres – und sie zeigte alle diese Männer an. Ungefähr 200 Männer sind bereits wegen Ehrverletzung zu einer Geldbuße verurteilt worden. Spiess-Hegglin war bei jedem einzelnen Prozess persönlich anwesend und entwaffnet die Männer durch ihr Lächeln. Den meisten sei es richtig peinlich ihr gegenüberzusitzen, na wenigstens etwas, triumphiert Spiess-Hegglin auf der Bühne, triumphiere ich beim Zuhören.

Na, wenigstens etwas

Der bekannte Politiker, dessen DNA in ihr gefunden wurde, wurde nicht verurteilt, dazu fehlten die Beweise (das toxische Screening ergab ja keine Ergebnisse). Doch aufgrund seiner Nicht-Verurteilung konnte er sie wiederum auf Verleumdung verklagen. Diese Klage kam zum Glück nicht durch! Seit 2014 ist einiges passiert und auch wenn das schlechte Bild Spiess-Hegglin in der Schweiz immer noch anhaftet, so kommt es diesen Sommer hoffentlich zu einem Urteil gegen die Tageszeitung, die ihren Namen damals veröffentlichte. Diese muss dann alle Gewinne, die sie mit Spiess-Hegglins Namen machte, ihr zukommen lassen. Ebenfalls verklagt Spiess-Hegglin zwei Journalisten von rechts-konservativen Boulevardblättern wegen übler Nachrede.

Sie hilft nun anderen Betroffenen von Hatespeech, Rassismus und Diskriminierung im Internet mit ihrem Verein #netzcourage und ihrer Firma Winkelried & Töchter GmbH. Dass sie aus eigener Kraft einen Weg fand mit ihrem Schicksal umzugehen und sich zu wehren ist das beeindruckendste und empowernste, was ich seit langem gehört habe.

Screenshot der Startseite von #netzcourage - the hatespeech ambulance von Jolanda Spiess-Hegglin

Screenshot der Startseite von #netzcourage - the hatespeech ambulance von Jolanda Spiess-Hegglin

Sigrid Maurer

Auf die Veranstaltung bin ich vor allem wegen Sigrid Maurer gegangen: Ihr Name und ihre Geschichte sind aktuell und bekannt. Noch mal zur Erinnerung: Die ehemalige, österreichische Grünen-Politikerin wurde 2018 auf dem Weg zur Arbeit vor einem Craft Beer Shop von einer Gruppe Männer belästigt. „Man erkennt als Frau, dass es eine ungute Runde ist“, sagt sie, als sie von dem Vorfall erzählt. Ich sehe allgemeines Nicken im Publikum. Später am Tag erhielt sie vom Besitzer des Ladens private Facebooknachrichten, die Androhungen von (sexueller) Gewalt und Beleidigungen enthielten. Es ist nicht das erste Mal, dass sie solche Nachrichten bekommt. Was ich nicht wusste, ist, dass Sigi Maurer als starke Frau und ausgesprochene Feministin bereits vor 2018 in Österreich eine Person war, von der die Medien kein gutes (soll heißen, weiblich braves und stummes) Bild erzeugten. Diesmal war es aber anders, berichtet sie, denn der Täter stand in räumlicher Nähe zu ihr. Sie musste zweimal am Tag an seinem Laden vorbei. Es war nicht einfach irgendjemand Fremdes aus den Weiten des Internets. Sigrid Maurer wirkt auf mich schlagfertig und taff; sie macht nicht den Eindruck, als würde sie je ein Blatt vor den Mund nehmen, sondern verbal zurückfeuern, wenn ihr jemand blöd kommt. Doch als sie von dem Ereignis berichtet, sehe ich kurz die verunsicherte Frau auf der Straße, die mit gesenktem Blick und schnellen Schrittes an der Männergruppe vorbeigeht, aus Angst durch eine Reaktion die Situation zu verschlimmern. Wieder allgemeines Nicken im Publikum: Wir waren alle schon diese Frau.

„Das kann nicht sein, dass wir im Jahr 2019 so ne Scheiße ertragen müssen!“

Maurer nimmt das nicht hin: „Das kann nicht sein, dass wir im Jahr 2019 so ne Scheiße ertragen müssen!“ Es war eine lange und wohlüberlegte Entscheidung, dass sie die privaten Nachrichten des Kneipenbesitzers bei Facebook veröffentlichte. Der Name des Täters war nicht zensiert. Es gab keine Möglichkeit, rechtlich dagegen vorzugehen.

Sigird Maurer Foto: Michael Grössinger

Sigird Maurer Foto: Michael Grössinger

Der Täter aber klagte wegen Verleumdung. Begründung: Er selbst habe die Nachricht nicht geschrieben, sie käme nur von seinem Account – und unfassbar für Sigi Maurer und alle die den Prozess verfolgten: Er gewann. Maurer wurde zu insgesamt 7.000 Euro verurteilt. Dass sie es immer noch nicht begreifen kann, immer noch nicht glauben kann, dass sie in einem Land lebt, in dem so etwas geschieht, sieht man ihr an diesem Tag auf der Bühne noch an. Und auch ich bin noch einmal erneut fassungslos, ob dieser Absurdität. (Mittlerweile wurde dieses Urteil von einer höheren Instanz aufgehoben. Rechtlich ist es, als hätte es das erste Urteil nicht gegeben. Der Fall wird erneut verhandelt.)

„Die Rolle der Frau ist, lieb und nett und brav zu sein“

Maurer sieht sich seit 2018 immer wieder Shitstorms im Netz ausgesetzt. Sie erzählt, dass der Handyakku innerhalb von zehn Minuten leer ist, wenn ein Shitstorm über einen hereinbricht und man alle Benachrichtigungen eingeschaltet hat. Sie erzählt auch, dass die Gewalthaftigkeit in der Sprache sich seit der Silvesternacht von Köln 2015 gesteigert habe. Ironischerweise werden Maurer immer wieder Massenvergewaltigungen durch Afghanen gewünscht, auch von Frauen. Darüber kann man nicht lachen – mir wird schlecht.

Wie Maurer sich erklärt, dass sie solchen Hass im Netz erfährt, quasi jedesmal, wenn sie sich öffentlich äußert? „Die Rolle der Frau ist, lieb und nett und brav zu sein“, erklärt sie und fügt hinzu, dass sie eine Studie gelesen habe, über weibliche Babys, die viel mehr positive Zustimmung bekämen, wenn sie lächeln, als männliche Babys.

Wenn sie spricht, wird einem die Absurdität der Gesellschaft bewusst, in der wir leben. Es ist ein Teufelskreis: Sie wird angefeindet und bedroht, weil sie sich als Frau öffentlich äußert, und möchte sich dagegen wehren. Der einzige Weg, der ihr offensteht, ist sich wieder öffentlich zu äußern und sie erfährt noch mehr Bedrohungen. Sie ist Opfer einer Gesellschaft und einer Rechtslage, die sie nicht davor schützt, defamiert zu werden. Ihren Angreifer hingegen schützen die Gesetze vor einer Diffamierung.

Doch der Fall Sigi Maurer hat letztlich dazu beigetragen, dass in Österreich ein neues Gesetz verabschiedet wurde für weniger Anonymität im Netz, auch wenn das in ihrem Fall nicht das Problem war und selten das Problem ist.

Anne Roth

Anne Roth ist Politologin, Medien- und Netzaktivistin. Sie arbeitet als Referentin für Netzpolitik der Linken im Deutschen Bundestag. Die Vorträge ihrer Vorrednerinnen ergänzt und untermauert sie durch Daten, Fakten, Verbrechensarten und der Rechtslage. Letztere ist auch in Deutschland kompliziert. Versuche der Bundes- sowie der EU-Regierung die Gesetzgebung hinsichtlich Hatespeech im Internet und Cybermobbing zu verändern, waren bis jetzt nicht fruchtbar. Dazu sind die Tatbestände zu komplex; das Internet und andere neue Technologien bieten unzählige Möglichkeiten für Täter*innen. Sie liest einen ganzen Katalog an Verbrechen vor: Vom Hochladen von Nacktbildern über Cyberstalking, dem Veröffentlichen von persönlichen Daten (Doxing), der Nutzung von spyware bis hin zur Kontrolle von smart things. Den Täter*innn geht es darum Opfer einzuschüchtern, zu kontrollieren, zu bestalken, zu terrorisieren oder ihnen zu schaden. Shitstorms und Hetze gegenüber Feminist*innen ist nur ein kleiner Teil. Viel häufiger sind Fälle von häuslicher Gewalt oder Fälle aus dem privaten Umfeld der Opfer.

Anne Roth, im Hintergrund Jolanda Spiess-Hegglin Foto: Michael Grössinger

Anne Roth, im Hintergrund Jolanda Spiess-Hegglin Foto: Michael Grössinger

Studien und aussagekräftige statistische Erhebungen gibt es so gut wie gar nicht, sodass die Dunkelziffer der Opfer und Verbrechen weitestgehend unbekannt ist. Roth selbst nennt zwei Studien. Sie bemängelt die Rechtslage und plädiert für klare Rechtsprechungen und Zuständigkeiten. Auch Polizei und Anwälte müssten geschult werden: Der Erstkontakt von Opfern mit den Behörden sei ernüchternd und einschüchternd. Roth wünscht sich eigens zuständige und spezialisierte Staatsanwälte, sodass Betroffene schnell und ohne eigenes Risiko handeln können – was, wir erinnern uns, im Fall Maurer nicht möglich war.

Und jetzt? – Ein paar Lösungsansätze

In der Diskussion sind sich alle drei Rednerinnen einig, dass sich sowohl politisch als auch gesellschaftlich etwas ändern muss. Momentan haben Betroffene wenig rechtliche Möglichkeiten gegen Hater vorzugehen und es gibt auch keine ausreichende Ausbildung in Medienkompetenz. Gerade die junge Generation muss erreicht werden. Schon Kinder sollten lernen, sich auch in der digitalen Welt respektvoll zu äußern, aber auch wie sie ihre Daten sichern. Hier muss die Prävention anfangen, denn, wie Maurer sagt: „Wie kannst du einem 80-jährigen Mann noch was beibringen. Der denkt das Internet ist eine Landschaft, wo er mal reinrülpsen darf.“

Immer wieder dreht sich das Gespräch um die Frage, warum Hasskultur im Internet überhaupt entsteht. Das Ziel von antifeministischen und misogynen Hatern sei es, Frauen still zu kriegen – und wenn auch Spiess-Hegglin und Maurer nicht der Beweis sind, dass es funktioniert, so berichten beide von großen Selbstzweifeln und eigener Schuldzuschreibung nach Shitstorms. Spiess-Hegglin sei mehrfach (auch von ihrer Partei) geraten worden, einfach nicht mehr zu reagieren, ihre Profile zu löschen. Doch sie entschied sich gegen diese „Selbstlöschung“. Es könne ja nicht sein, so beschwert sie sich, dass ihre einzige Möglichkeit sei, sich selbst aus dem Diskurs zu nehmen. Sie berichtet aber auch, dass blocken und muten ein wichtiger Teil von digitaler Hygiene sind, ebenso kann es helfen, in einem akuten Fall alle Accounts in die Hände von einer Vertrauensperson zu übergeben.

„Wie kannst du einem 80-jährigen Mann noch was beibringen. Der denkt das Internet ist eine Landschaft, wo er mal reinrülpsen darf.“ - Sigrid Maurer

Alle drei Podiumsteilnehmerinnen berichten davon, wie gut die rechte Szene in allen drei Ländern, mit der Boulevardpresse vernetzt sei und erzählen von Beispielen. Aber es gäbe eigentlich nur eine sehr kleine Szene (in der Schweiz etwa 1.000 Wutbürger und nur 80 davon seien richtig anstrengend, so Spiess-Hegglin). Die Diskussion schließt mit einer empowernden Feststellung: Auch der Feminismus im Netz ist sehr erfolgreich, solidarisch und laut!  

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