Körper-Bilder: Tätowieren als feministischer Akt

Körper-Bilder: Tätowieren als feministischer Akt

Mein erstes Tattoo war eine Befreiung. Ich eroberte mir meinen Körper zurück und markierte ihn so, wie ich es wollte. Nach all den gesellschaftlichen Erwartungen und Verpflichtungen zur Schönheit fühlte sich das verdammt feministisch an. Geht es nur mir so? Ich beginne mit Freund_innen und Tattoo-Profis über das feministische Potential von Tattoos zu sprechen, lese mich in die Thematik ein. Und stelle fest: nicht nur in mir entsteht gerade ein schöne neue Tattoo-Welt.   

Rückeroberung und Rite de Passage

Nicky Singhal, Tattookünstlerin in München, ist die Erste, mit der ich mich über das Thema unterhalte. Weil sie mich tätowiert hat. Vor allem aber, weil sie sich viel mit dem Thema Feminismus im Tattoo-Studio beschäftigt hat. In ihrem Studio in München bemüht sie sich um einen geschützten, würdevollen Raum für ihre Klientinnen, verwendet keine Ganzkörperaufnahmen oder sexualisierte Posen in ihrem Portfolio.

Sie sagt: „Tätowiererinnen gehen oft anders an das Tätowieren weiblicher Körper heran. Immer wieder kommen Kundinnen zu mir, die gerne ein Tattoo an einer bestimmten Körperstelle hätten wie z.B. ihrem Bauch oder den Oberschenkeln. Weil sie diese Körperstellen jedoch als ‚nicht schön genug’ empfinden, gestehen sie sich das Tattoo dort nicht zu. Dann ist es ein Prozess das Tattoo so an den Körper anzupassen, dass dadurch auch das eigene Körperbild transformiert wird. Wenn das gelingt, erlebe ich, dass Frauen* nach dem Tätowieren in den Spiegel schauen und sich auf einmal ganz neu erleben können“.

 Tätowieren als Prozess. Das kenne auch ich. Meine Tattoos verändern nicht nur mein Körperbild. Sie integrieren auch etwas in meinen Körper, das ansonsten für die Augen anderer unsichtbar bleiben würde: meine persönliche Reise. Das verändert mein Selbstbewusstsein. Oft werde ich auf meine Tattoos angesprochen. V.a. wegen des Stils, vermute ich. Aber auch, weil die Menschen etwas sehen, von dem sie nicht ganz genau wissen, was es ist. Meine Tattoos sind überschüssig. Sie verweisen auf etwas jenseits der Farbe auf der Haut.

Der Weg dahin ist schmerzhaft. Nadel, die in Haut sticht. Der Schmerz löst eine Atmosphäre der Transformation aus, beschreibt Nicky Singhal, die ihre Kundinnen eben nicht nur in der Gestaltung des Tattoos begleitet, sondern auch durch den Schmerz hindurch. In einer Art Ritual, einem Rite de Passage, einem Übergangsritual. Das verlangt viel Sensibilität. Zumal es oft bedeutet, dass während des Prozesses immer wieder belastende Geschichten auftauchen können. Nicky erzählt, dass dann in der Kopräsenz zweier Tätowiererinnen und zweier Kundinnen oft ein gemeinsamer Raum entsteht. Ein Raum der gegenseitigen Unterstützung. Tätowieren als Traumaarbeit in einer patriarchalen Gesellschaft.

Ein paar Wochen nach meinem Gespräch mit Nicky, lese ich Roxane Gays Buch Hunger. Und stoße auf folgende Sätze: „Durch die Tattoos kann ich endlich ganz wahrhaftig sagen: Das will ich für meinen Körper haben. So will ich aussehen. So hole ich mir meinen Körper zurück“. Und: „Hin und wieder überkommt mich das Verlangen nach einem neuen Tattoo. Das Verlangen danach, mich mit meinem Körper so zu verbinden, wie es mir sonst nur selten möglich ist. Das Verlangen, auf diese ganz besondere Weise berührt zu werden“. Tätowiert-Werden als Berührt-Werden.

Ich lese und unterhalte mich weiter. Menschen erzählen mir, dass sie ihre Schutztiere auf der Haut versammelt haben. Andere, dass sie Selbstverletzungsnarben damit überschreiben. Immer wieder geht es in den Gesprächen um die Entscheidung, ob eigene Verletzungen sichtbar sein sollen oder nicht. Darum, durch Tattoos anders mit sich und der eigenen Geschichte umzugehen, in Kontakt zu kommen mit sich und anderen.

Ich lese, dass es seit den 1990ern Post-Mastektomie-Tattoos gibt. Dass es sogar eine eigene Subkultur von Brustkrebs-Überlebenden gibt, die sich über ihre Tattoos global austauschen. Den eigenen Körper mit Farbe zu gestalten, nachdem er vor der Mastektomie ärztlich markiert wurde – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes, nämlich mit einem Stift. Ein klares Statement der Ermächtigung gegen den nächsten automatisch angetragenen medizinischen Schritt: den Brustaufbau. 

Von „Arschgeweihen“, Conventions und anderen Szenen

Nach all den persönlichen Gesprächen und Erkundungen, beschäftigt mich immer noch die Frage: Was bedeutet das alles für die Tattoo-Szene? Gibt es auch hier Veränderungen? Ich lese und recherchiere. Und tatsächlich: in den letzten Jahren ist Feminismus in der Tattoo-Szene ein immer größeres Thema geworden. 2019 fand z.B. die erste feministisch-antirassistische Tattoo-Convention „Ink about it“ in Hamburg statt, deren Ziel es war, die Logik konventioneller Tattoo-Messen, auf denen Frauen in Bikinis als Werbeflächen herumlaufen, auszuhebeln.

Auch auf Instagram entsteht eine neue queerfeministische Tattoo-Welt, die nicht länger auf die Vernetzung durch die Conventions angewiesen ist. Jenseits der konventionellen Conventions werden weiblich gelesene Künstlerinnen sichtbarer. Und das verändert die Szene. Tätowierende FLINTAs sehen sich öfter als Künstler*innen, streben wie die Tätowiererin Bataille keine Perfektion an.

Spiegeln sich diese Szene-Veränderungen auch in gesellschaftlichen Bildern wider? Mittlerweile haben mehr Frauen* als Männer* Tattoos. Dennoch: gesellschaftlich gelten Tattoos nach wie vor oft als Symbol der Männlichkeit. Historisch gesehen war dies im 19. Jahrhundert, als sich Frauen der Gesellschaft noch gerne tätowieren ließen, zwar anders. Aber im 20. Jahrhundert waren sowohl die, die Farbe unter die Haut brachten als auch die, die sich tätowieren ließen, zumeist Männer. Weiblich gelesene Tätowierte wurden verbal abgewertet. Oder warum, gibt es einen fest stehenden Begriff wie das „Arschgeweih“ – im Englischen sogar noch deutlicher, nämlich als „tramp stamp“ (wörtlich: Schlampenstempel) bezeichnet  – und keine abwertenden, fest stehenden Begriff für all die Tribal Tattoos auf männlichen Armen, die in den 1990ern und 2000ern entstanden sind? Fragt Chiara Gabriel in ihrem Essay „Don’t Call it a Tramp Stamp“ aus dem Jahr 2015.

Solche Zuschreibungen werden nun von der Gen Z überschrieben. Sie will durch ihre Tattoos oft soziale Botschaften vermitteln, Erfahrungen validieren, Körper feiern, zur Heilung beitragen. Und eröffnet damit eine schöne neue, feministische Tattoo-Welt.

 Ich möchte ihn wiedererleben: diesen Schmerz, der meinen Körper und mein Körperbild verändert. Ich habe einen Handy-Ordner, in dem ich Tattoo-Künstlerinnen mit ihren Hautbildern abspeichere, die mich inspirieren, die meine Botschaft vertreten. Sie tätowieren Medusa, sie tätowieren queere Frauenpaare. Doch es geht mir nicht um das Motiv. Ich folge den Künstlerinnen auf Instagram und beobachte, wie sie andere Tätowiererinnen supporten, wie sie ihre Motive promoten und welche Inhalte sie sonst noch teilen. Ich bin angekommen in einer Tattoo-Welt, die politisch ist. 


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